Die meisten von uns haben es schon erlebt. Ein Service- oder Produkt ist nicht zufriedenstellend. Und wir reklamieren. Wenn wir dabei erfolgreich sind, macht uns das richtiggehend glücklich. Im anderen Fall sind wir frustriert. In besonders triftigen Fällen der persönlich empfundenen Übervorteilung hinterlassen wir eine Spur: ein negatives Rating. Wie große österreichische Unternehmen damit umgehen, wollen wir uns in diesem Artikel ansehen. Zwei Dinge vorweg: Die meisten Unternehmen im Retailbereich kommen in den relevanten Kundenratings nicht gut davon, aber einige Unternehmen nutzen die Möglichkeit zur innerbetrieblichen Verbesserung der Produkte und Leistungen.
Was haben Beschwerden mit Konflikten zu tun? Nun, wenn Sie als Konsument in der Benutzung eines Produktes oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung eingeschränkt werden, dann stellt dies definitionsgemäß einen Konflikt dar. Auch wenn das liefernde Unternehmen dies so nicht empfindet: "Wir haben keine Konflikte mit unseren Kunden."
Ich möchte dem Unternehmen (in der Regel eine juristische Person) nicht die Fähigkeit von Empathie beimessen, ich würde dies jedoch gerne bei den leistungserbringenden Mitarbeitern sehen. Wer schon selbst mühevoll Reklamationsprozesse hinter sich gebracht hat, versteht, warum viele Kunden frustriert sind. Dabei ist genau dieser Umstand eigentlich auch ein enormes Asset für das Unternehmen. Es ist eine stete Quelle für mögliche Verbesserungen von Dienstleistungen und Produkten. Mich persönlich hat interessiert, ob Österreichs führende Unternehmen auch in im Thema Konflikt/Beschwerde-Management Marktleader sind. Und was wir aus der gewonnenen Erkenntnis ableiten können.
Was ich mir angesehen habe
Untersucht wurden die TOP-25 Unternehmen in Österreich, sofern sie ihr Kerngeschäft mit Verbrauchern führen. Betrachtet wurden 3 Ratings:
Das Google Rating für die Unternehmenszentrale (Bewertungen von etwaigen Filialen wurden nicht berücksichtigt.)
Trust Pilot: zeigt in der Regel die Servicequalität im Online-Auftritt des Unternehmens.
Kanunu: hier geben Mitarbeiter und Bewerber ihre Einschätzung über das Unternehmen als Arbeitgeber ab.
In die Betrachtung wurden nur Unternehmen aufgenommen, wenn zumindest 90 Bewertungen bei der Unternehmenszentrale vermerkt waren. Letztendlich wurden 8 Unternehmen näher betrachtet.
88 % der Verbraucher würden ein Unternehmen nutzen, das auf alle seine Bewertungen antwortet, verglichen mit nur 47 %, die ein Unternehmen nutzen würden, das überhaupt nicht auf Bewertungen antwortet.
Quelle: BrightLocal, ein weltweit online tätiges Marktforschungsinstitut. Es gilt in der SEO- und Online-Marketing-Branche als vertrauenswürdige und etablierte Quelle.
Die wichtigsten Ergebnisse: Top-Unternehmen sind nicht unbedingt top im Konfliktmanagement.
Nur ein einziges von 8 Unternehmen, der Retaildiscounter Hofer, erreicht bei Google ein Rating von 4.2., alle übrigen bewegen sich zwischen 1.9 (schlecht) und 3.5 (mittel - verbesserungswürdig). Dabei kann der Anteil der schlechtesten Benotung bis zu 2/3 ausmachen.
Lediglich zwei der betrachteten Unternehmen geben auf Rezensionen auch Rückmeldung. Interessanterweise befindet sich darunter das am schlechtesten bewertete Unternehmen. Meiner Interpretation nach, dürfte man hier die Notwendigkeit, Beschwerden betrieblich zu nutzen, erkannt haben. Vorbildlich agiert allerdings Spar Österreich: Die Mitarbeiter des noch immer familiengeführten Unternehmens antworten auf nahezu jede Beschwerde, und das sehr individuell. Man sieht, dass in der Regel keine Textbausteine bzw. Bots eingesetzt werden. Die Ansprache ist persönlich und lösungsorientiert. Bravo. Andere positive Bespiele außerhalb der Top-25 Unternehmen sind IKEA und Möbelix, wobei letzterer durchwegs mit Textmodulen arbeitet, aber immerhin: Auf Google wird dies mit einem Rating >4 belohnt.
Leider schneiden alle Unternehmen bei Trust Pilot ähnlich schlecht ab, die Werte bewegen sich hier bei 1.2 bis 1.9 auf einer 5-stufigen Skala. Der Anteil der schlechtesten Bewertung von 1 liegt bei 67% bis 95%. Im reinen Handel dürft man da in guter Gesellschaft sein. Bei anderen Branchen zeigt sich jedoch, dass konkurrierende Unternehmen mit geringerer Größe zum Teil besser performen.
Nicht zuletzt weisen alle Unternehmen auf Kanunu eine ähnliche Bewertung durch Mitarbeiter bzw. Bewerber auf. Mit 3.7 bis 4.1 liegen alle 8 Unternehmen relativ eng beisammen. Hier dürften die involvierten HR-Abteilungen einen guten Job machen. Die Anteile jener Rating-Spender, die das Unternehmen wieder empfehlen würden, liegen bei 68% bis 86%. Es besteht aber trotzdem noch Aufholbedarf zu Unternehmen, die 95% und mehr erreichen, allerdings im KMU-Bereich liegen.
Nicht unerwähnt bleibe, dass sich in zwei Fällen der betrachteten Unternehmen User beschweren, dass ihre Ratings manipuliert bzw. gelöscht worden wären.
Warum sich Endverbraucher das antun?
Der Kampf eines einzelnen Privatkunden gegen ein Großunternehmen, manchmal mit marktbeherrschender Wirkung, mutet wie der Kampf David gegen Goliath an, oder sind es doch die Windmühlen von Don Quijote? Blickt man genauer in die Beschwerden, ergibt sich vor allem ein emotionales Stimmungsbild:
Ich zitiere einen Beschwerdeführer, der das Unternehmen wörtlich "an den Pranger" stellen möchte. Offensichtlich liegt in der eigenen Verletzung ein enormes Potenzial, dem Unternehmen klarzumachen, dass man Ungerechtigkeit erlitten hat und eine höhere Gerechtigkeit in den sozialen Medien sucht.In abgeschwächter Form fühlt sich ein größerer Teil einfach nur nicht gehört. In den Wirren der vielfältigen Kommunikationskanäle des Unternehmens sind sie einfach nur im Kreis gelaufen. Die Frustration, nur Zeit verspielt, aber keine Lösung gefunden zu haben, manifestiert sich in emotionalen Wortspenden.
Ein geringerer Teil versucht, den Aspekt durch eine detaillierte technische Abhandlung des Geschehens zu dokumentieren, in der Hoffnung, dass jemand sich vielleicht doch des Anliegens annehmen wird. Und sollte dies nicht der Fall sein, so hat man den Umstand für etwaige andere Kunden detailliert festgehalten, bzw. sollen potenzielle Neukunden gewarnt werden. Fatal für das Neugeschäft.
Wie wirkt das Beschwerdemanagement für das Unternehmen?
Kommunikation: Eine offene, schnelle und lösungsorientierte Reaktion verhindert nicht nur die Verbreitung negativer Meinungen, sondern kann das Narrativ sogar ins Positive drehen. Ein öffentlich sichtbarer Dialog mit dem Kunden zeigt, dass das Unternehmen Probleme ernst nimmt und proaktiv handelt. Fehler werden eingestanden, das Unternehmen erscheint in einem nahezu "menschlichen" Licht.
Beziehungsaufbau: Ein Zeichen der Wertschätzung
Indem das Unternehmen diese Beschwerden ernst nimmt, signalisiert es, dass die Beziehung zählt. Dies stärkt langfristig die Bindung und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde dem Unternehmen eine zweite Chance gibt.
Erkenntnisse zur Verbesserung: Die Chance in der Kritik
Beschwerden sind detailreich und konkret. Unternehmen, die diese Informationen sammeln und analysieren, können grundlegende Probleme erkennen und langfristig eliminieren. Zum Beispiel könnten wiederkehrende Beschwerden über lange Lieferzeiten auf ein logistisches Problem hinweisen, das durch Anpassungen behoben werden kann. Ich schließe an der Stelle nicht aus, dass etliche der untersuchten Unternehmen dies auch tun, wenngleich sie (bis auf zwei) keine aktive Kundenkommunikation veröffentlichen.
Die häufigsten Beschwerden liegen in veralteten ProzessenEs liegt in der Sache, dass ein großer Anteil der Beschwerden sich auf Produkte und Serviceleistungen richtet. Der Preis ist zu teuer, das Produkt fehlerhaft, die Gewährleistung abgelaufen uvm.
Blickt man jedoch tiefer in die Ausführung der Beschwerdeführer, dann wird rasch klar, dass es eigentlich um Prozesse geht. Entweder sind Prozesse nicht vorhanden, meist aber veraltet, weil generisch gewachsen, weswegen man für eigentliche Produktbeschwerden keine zufriedenstellende Lösung findet. Das Rad gewinnt an Schwungkraft, denn dieser Faktor hat auch Auswirkungen auf die Mitarbeiter, die von den Kunden als inkompetent, unfreundlich und wenig lösungsorientiert bezeichnet werden. Letztendlich können jedoch keine Mitarbeiter bei mangelhaften Prozessen weiterhelfen. Denn von einem haben wir uns schon längst verabschiedet: Mitarbeiter haben keinen Handlungsspielraum mehr. Kulanzlösungen liegen bei den meisten Unternehmen in der Vergangenheit.
Was wir von Amazon lernen sollten
Amazon, hat das Feld der kundenorientierten Kulanzlösung, nun für sich als Differenzberufsmerkmal entdeckt und ermöglicht Reklamationslösungen auf individueller Ebene. Erst kürzlich fand ich mich im Chat mit Amazon, nachdem eine aus China eingegangene Bestellung nicht ganz meinen Spezifikationen entsprochen hatte. Tatsächlich wurde vom Chat-Agent gefragt, welche Lösung ICH mir vorstelle. Stellen Sie sich das mal vor. Ich nehme mal an, dass ich nicht über das Ziel hinausgeschossen bin, denn meinem Vorschlag einer Teilrückerstattung wurde entsprochen.
Jeff Bezos, Gründer von Amazon, betonte, dass eines der Kernprinzipien seines Erfolgs die Priorisierung des Kunden ist. Diese Philosophie hat Amazon dabei geholfen, ein weltweit führendes Unternehmen zu werden. Bezos selbst hat sich in der Vergangenheit aktiv mit Kundenbeschwerden auseinandergesetzt, um die strategische Ausrichtung des Unternehmens weiter zu verbessern:
„Wenn Sie Kunden in der physischen Welt unzufrieden machen, erzählen sie es vielleicht sechs Freunden. Wenn Sie Kunden im Internet unzufrieden machen, können sie es 6.000 Menschen erzählen.“ (Jeff Bezos)
Das kann ich durch eine eigene Wahrnehmung bestätigen. Meine eigenen Ratings auf Tripadvisor.com aus den letzten 7 Jahren wurden von mehr als 53.000 Personen gelesen. Und ich gehöre nicht zu den Vielreisern.
Es beschweren sich nur die Nörgler
Viele Unternehmen messen dem Thema nur geringe Bedeutung bei. Ich höre hier auch von Unternehmensseite, dass die Daten nicht repräsentativ wären, weil sich ohnehin nur die "Nörgler" beschweren. Dazu sage ich: Ja, das ist richtig. Sie müssen einem Kunden schon viel antun, dass er sich die Mühe macht, eine negative Rezension zu schreiben. Auf der anderen Seite werden nur begeisterte Kunden ihnen eine glatte 5 (=Bestnote) geben. Der Mittelbau macht natürlich den Großteil der Kunden aus und stellt die schweigende Masse dar, die aber auch leicht sich von Vorteilen der Konkurrenz abziehen lässt.Hier ein Vorschlag, wenn Sie als Unternehmensvertreter der Substanz der Daten nicht trauen: Warum beobachten Sie nicht einfach die Relation von 1 auf 5. Wenn es hier im Laufe der Zeit eine positive Veränderung gibt, dann machen Sie einen hervorragenden Job.
Mein Erkenntnisgewinn
Die Unternehmensgröße hängt nicht unbedingt mit der Fähigkeit des Beschwerdemanagements zusammen. Große Unternehmen haben sich durch komplexe Prozesse in eine Sackgasse manövriert, setzen aber in der Kommunikation wenig Anstrengung, dem etwas entgegenzusetzen. Für Konkurrenten und auch kleiner Unternehmen ist dies eine enorme Chance, Neukunden zu gewinnen und zu halten.
Konfliktkultur zieht sich nicht stringent durch die Unternehmen. Während die Personalabteilung im Rahmen des Employeer Brandings recht vorzeigbare Ratings einzufahren, sind die Noten in der Kundenbeziehung gerade mal genügend.
Familiengeführt Unternehmen dürfte eher in eine vorweg schwer in Zahlen fassbare Aktivität der Konfliktbeilegung investieren als solche, die durch Shareholder getrieben sind. Besonders im Fall einer Marktvormachtstellung dürfte es weniger motivierende Elemente geben. Skalierung und damit Optimierung des Unternehmensgewinns werden oft als nicht vereinbar mit einer positiven Konfliktkultur erachtet.
Fazit
Ein effektives Beschwerdemanagement bietet Unternehmen nicht nur die Chance, Kundenbindung zu stärken, sondern auch interne Prozesse und Produkte entscheidend zu verbessern. Mein kurzer Streifzug durch die veröffntlichten Rating-Daten zeigt, dass viele große österreichische Unternehmen, insbesondere im Retailbereich, diese Chance oft nicht optimal nutzen. Zwar gibt es lobenswerte Ausnahmen, die durch vorbildliche Kundenkommunikation auffallen, doch insgesamt bleibt viel Potenzial ungenutzt. Besonders kleinere und familiengeführte Unternehmen können hier profitieren, weil größere Konzerne häufig an komplexen und starren Prozessen scheitern.
Unternehmen, die nicht nur die „lautstarken Nörgler“ ernst nehmen, sondern aus Kritik systematisch lernen, können ihre Marktposition nachhaltig verbessern. Der offene und lösungsorientierte Umgang mit Kundenbeschwerden ist nicht nur eine Frage von Empathie, sondern ein strategisches Werkzeug, um Wettbewerbsvorteile zu sichern. In einer Zeit, in der soziale Medien und Bewertungsplattformen eine immense Reichweite haben, ist der Aufbau einer positiven Konfliktkultur wichtiger denn je.
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